Der britische „Science & Technogy Report“ (Wissenschafts- und Technologie-Bericht)
Es wird oft berichtet, dass keine Nachweise zur Wirksamkeit der Homöopathie vorliegen oder dass die aktuelle Evidenzbasis zeigt, dass die Homöopathie nicht besser wirkt als ein Placebo. Keine dieser Aussagen ist richtig.
Solche Fehlannahmen ergeben sich weitgehend aus zwei Dokumenten – dem Bericht „Evidence Check 2: Homeopathy“ des britischen Wissenschafts- und Technologie-Ausschusses im Unterhaus und der neueren Informationsschrift über Homöopathie, die vom Australian National Health and Medical Research Council verfasst wurde (der „australische Bericht“).
Der britische Wissenschafts- und Technologiebericht „Evidence Check 2“ (EC2) wurde 2010 von einem Ausschuss von 14 Parlamentsabgeordneten veröffentlicht1. Dieser Bericht kam zu dem Schluss, dass die Homöopathie nicht besser wirke als ein Placebo und dass auf dem Gebiet der Homöopathie keine Forschung mehr betrieben werden solle.
Der Wissenschafts- und Technologiebericht EC2 – die wichtigsten Fakten
- Dieser Bericht ist kein wissenschaftliches Dokument und sollte daher nicht als Teil der wissenschaftlichen Literatur angesehen werden, wie sie von Entscheidungsträgern als Nachweis verwendet wird.
- Nicht nur Homöopathen sind der Meinung, der Bericht sei mangelhaft – er erntete auch weithin Kritik von Personen außerhalb des homöopathischen Berufstands.
- Der Abgeordnetenausschuss schloss alle Nachweise für Homöopathie mit Ausnahme von fünf systematischen Übersichtsarbeiten aus – und gründete seine Schlussfolgerungen schließlich auf nur einer dieser Studien.
- Der Bericht spiegelt nicht die Ansicht der Regierung des Vereinigten Königreichs wider – das Gesundheitsministerium lehnte den Bericht ab.
Zuverlässigkeit des Berichts
Da weiterhin allgemein auf dieses Dokument Bezug genommen wird, muss seine Zuverlässigkeit objektiv betrachtet werden. Obwohl von einigen als „umfassende Überprüfung“ der Nachweise beschrieben, ist der „Evidence Check 2“ kein wissenschaftliches Dokument – es handelt sich vielmehr um einen Bericht, der von einem Ausschuss von 14 Parlamentsabgeordneten zusammengestellt wurde. Es wurde keine systematische wissenschaftliche Methode angewendet, er wurde nicht von akademischen Experten auf diesem Fachgebiet durchgeführt, und die Auswahl der enthaltenen Nachweise zeigt eine beunruhigende Voreingenommenheit – sowohl in Bezug auf die schriftlichen Beiträge als auch auf die Auswahl der Zeugen, die für mündliche Angaben zugelassen wurden.
Die zahlreichen Schwachstellen im EC2-Bericht waren eklatant genug, um die Kritik von Politikern auf sich zu ziehen, die sich mit der Durchführung solcher Nachweis-Überprüfungen auskennen:
- Vier Abgeordnete stimmten über den Bericht ab: Drei stimmten für die Ratifizierung des Berichts, ein Abgeordneter (Ian Stewart) enthielt sich der Stimme. Er teilte die Meinung des Berichts nicht, denn er hatte Bedenken in Bezug auf die „Ausgewogenheit der Zeugen“.
- 70 Abgeordnete äußerten Bedenken, indem sie einen formalen Antrag im Unterhaus (eine sog. „Early Day Motion“, kurz: EDM) unterschrieben (EDM 908)2
- Graf Baldwin of Bewdley kam in einer unabhängigen Kritik zu dem Schluss, der Bericht sei „eine unzuverlässige Quelle für Nachweise über die Homöopathie“.3 Graf Baldwins Meinung ist besonders interessant, da er im Unterausschuss für Wissenschaft und Technologie des Oberhauses diente, der in den Jahren 1999–2000 Untersuchungen auf den Gebieten der Komplementär- und Alternativmedizin anstellte. Graf Baldwin war daher mit den korrekten Verfahren des Wissenschafts- und Technologieausschusses sowie mit dem betreffenden Thema vertraut.
Diese und andere Fragestellungen wurden auf einer eigens eingerichteten Website gemeldet: http://www.homeopathyevidencecheck.org/.
Um welche Nachweise geht es in dem Bericht?
Abgesehen vom Thema Zuverlässigkeit besteht ein zweites wichtiges Problem darin, dass im EC2 nur klinische Nachweise berücksichtigt wurden. Sogar dann bezog sich der einzige klinische Nachweis, der berücksichtigt wurde, auf die „ideale“ Wirksamkeit („efficacy“) der Homöopathie, nicht auf die „reale“ Wirksamkeit („effectiveness“), d. h. es wurden nur Studien betrachtet, in denen geprüft wurde, ob die Homöopathie unter streng kontrollierten, künstlichen experimentellen Bedingungen wirkt, und nicht etwa Studien, in denen geprüft wurde, ob sie an „echten Patienten“ unter realen klinischen Bedingungen wirkt.
Der Ausschuss berücksichtigte nur fünf systematische Übersichtsarbeiten zu randomisierten kontrollierten Studien (RKS)4,5,6,7,8. Davon wurden die vier Metaanalysen ausgeschlossen, die zu weitgehend positiven Ergebnissen zugunsten der Homöopathie gelangten4,5,6,7. Dieser Ausschluss basierte gänzlich auf der Aussage von Prof. Edzard Ernst9, der erklärte, dass seiner Meinung nach drei veraltet seien und eine tatsächlich als negativ betrachtet werden sollte. Die einzige Studie, die Prof. Ernst nicht kritisierte, war die „Lancet-Studie“ von Shang et al. aus dem Jahr 20058, die seiner Beschreibung nach zu einem „verheerend negativen Gesamtfazit“ gelangte.
Zuverlässigkeit der Lancet-Studie
Da die Schlussfolgerung des EC2-Berichts quasi ausschließlich auf der Studie von Shang et al. basierte, ist einmal mehr die Qualität und Zuverlässigkeit dieses Belegs von zentraler Bedeutung.
Es wurden zahlreiche Bedenken über die Studie von Shang et al. geäußert, insbesondere die Tatsache, dass ihre Schlussfolgerungen auf nur acht der 110 Studien basierten, die den Autoren damals zur Verfügung standen, und dass ferner keine Sensitivitätsanalyse enthalten ist10. Wenn man also nur eine einzige der acht Studien verändert, die in die Analyse einbezogen wurden, wird das Ergebnis umgekehrt und zeigt, dass die Homöopathie über den Placebo-Effekt hinaus wirkt. Dadurch wird die Zuverlässigkeit der von dieser Arbeit berichteten Ergebnisse vollständig untergraben.
Zudem beruht keine einzige dieser acht Studien auf einer individualisierten homöopathischen Behandlung – also die Form der Homöopathie, die als „Standardbehandlung“ gilt.
Der EC2-Bericht ist mittlerweile hoffnungslos veraltet
Obwohl der EC2-Bericht im Jahr 2010 veröffentlicht wurde, stützten sich die Schlussfolgerungen des Berichts nur auf systematische Übersichtsarbeiten, die bis 2005 veröffentlicht worden waren. Prof. Ernst erklärte in seiner Vorlage auch, dass seine Argumentation (gegen die Homöopathie) auf Nachweisen aufgebaut wurde, die bis zum Jahr 2005 veröffentlicht worden waren 11. Das bedeutet, dass die im Jahr 2010 diskutierten Nachweise bereits mindestens fünf Jahre alt waren.
Sieht man sich nun die Evidenzbasis für die Homöopathie im Jahr 2018 erneut an, zeigt sich, dass seit dem EC2-Bericht bedeutende Fortschritte auf dem Gebiet der Homöopathieforschung erzielt worden sind, die auch die Veröffentlichung neuerer systematischer Übersichtsarbeiten einschließen.
Beispielsweise ergab eine Übersichtsarbeit von Mathie et al.12 aus dem Jahr 2014, dass homöopathische Arzneimittel, die während einer individualisierten Behandlung verschrieben werden, mit 1,5- bis 2-mal höherer Wahrscheinlichkeit eine positive Wirkung haben als ein Placebo.
Die Position der Regierung des Vereinigten Königreichs
Die Antwort der Regierung auf den Bericht des Wissenschafts- und Technologieausschusses wurde im Juli 2010 vom Gesundheitsministerium veröffentlicht14.
Die Regierung lehnte es ab, homöopathische Präparate zu verbieten, und bezeichnete die Homöopathie als eine EU-weit anerkannte und häufig eingesetzte Therapiemöglichkeit. Die Antwort betonte die Wahlmöglichkeit der Patienten als Hauptgrund, um Homöopathie im Rahmen des nationalen Gesundheitsdienstes weiter zu finanzieren.
- Evidence Check 2: Homeopathy, Report by the House of Commons Science and Technology Committee, February 2010 | Link
- UK Parliament Early Day Motion 908 | Link
- Earl Baldwin of Bewdley, June 2010: Observations on the report Evidence Check 2: Homeopathy by the House of Commons Science and Technology Committee, February 2010 | Link
- Kleijnen, J., Knipschild, P. & ter Riet, G. Trials of homeopathy. BMJ, 1991; 302:960 | PubMed
- Linde, K. et al. Are the clinical effects of homeopathy placebo effects? A meta-analysis of placebo-controlled trials. Lancet, 1997; 350: 834–843 | PubMed
- Linde, K. et al. Impact of study quality on outcome in placebo-controlled trials of homeopathy. J. Clin. Epidemiol., 1999; 52, 631–636 | Pubmed
- Cucherat, M., Haugh, M. C., Gooch, M. & Boissel, J. P. Evidence of clinical efficacy of homeopathy. A meta-analysis of clinical trials. HMRAG. Homeopathic Medicines Research Advisory Group. Eur. J. Clin. Pharmacol., 2000;56: 27–33 | PubMed
- Shang A, Huwiler-Muntener K, Nartey L, et al. Are the clinical effects of homoeopathy placebo effects? Comparative study of placebo-controlled trials of homoeopathy and allopathy. Lancet, 2005; 366: 726–32 | PubMed
- House of Commons Science and Technology Committee – Evidence Check 2: Homeopathy, Fourth Report of Session 2009-10. (February, 2010) Page 18, Point 65 to 69 (p.22 of PDF) | Link
- Lüdtke, R. & Rutten, A. L. B. The conclusions on the effectiveness of homeopathy highly depend on the set of analyzed trials. J. Clin. Epidemiol., 2008; 61: 1197–1204 | PubMed
- House of Commons Science and Technology Committee – Evidence Check 2: Homeopathy, Fourth Report of Session 2009-10. (February, 2010) Memorandum submitted by Professor Edzard Ernst (HO 16), Evidence Ev 26 (p.85 of PDF) | Link
- Mathie, R. T. et al. Randomised controlled trials of homeopathy in humans: characterising the research journal literature for systematic review. Homeopat. J. Fac. Homeopat., 2013; 102: 3–24 | PubMed
- Mathie, R. T. et al. Randomised, double-blind, placebo-controlled trials of non-individualised homeopathic treatment: systematic review and meta-analysis. Systematic Reviews, 2017; 6:63 | PubMed
- The UK government response to the Science & Technology Committee’s report | Link